Von Schwarzen Löchern, Gravitationswellen und der Kunst, mit der Zeit zu gehen
Dr. Andreas Müller, Chefredakteur der Zeitschrift »Sterne und Weltraum«, im Interview
Seit sechs Jahrzehnten begeistert das Wissensmagazin »Sterne und Weltraum« Astronomiefans und bringt ihnen spannende Phänomene des Universums und der Weltraumforschung näher. Wir könnten uns kaum einen besseren Grund für ein Interview vorstellen als ein rundes Jubiläum und haben das 60-jährige Bestehen des beliebten Magazins zum Anlass genommen, um mit dem Chefredakteur Dr. Andreas Müller zu sprechen. Im Interview hat er uns verraten, wie es ihm gelingt, die Zeitschrift stetig zu erneuern und weiterzuentwickeln, warum YouTube auch für die Astronomie immer wichtiger wird und was sein ganz persönliches astronomisches Highlight der letzten Jahrzehnte war. Eines können wir vorab schon verraten: Astronomisches Wissen auf spannende Art und Weise zu vermitteln, liegt ihm ebenso am Herzen wie uns.
Das Magazin »Sterne und Weltraum« erschien vor 60 Jahren – im April 1962 – zum ersten Mal. Seit 2019 sind Sie Chefredakteur. Was zeichnet Ihr Magazin aus und was hat sich hier in den vergangenen 60 Jahren geändert?
Das Besondere am Magazin »Sterne und Weltraum« ist, dass Wissenschaftler*innen darin von Anfang an eigene Beiträge verfassen. Zusätzlich arbeiten auch Wissenschaftsjournalist*innen und unser Redaktionsteam an den Ausgaben. Unser Ziel ist es, die Beiträge so aufzubereiten, dass sie für unser Publikum, das aus Astronomieprofis ebenso wie aus Amateur*innen besteht, gleichermaßen spannend und informativ sind. Eine weitere Besonderheit ist, dass unsere Leserinnen und Leser selbst Teil von »Sterne und Weltraum« werden können. Auf der Online-Seite unseres Verlags Spektrum.de gibt es die Möglichkeit, Bilder hochzuladen, von denen wir einen Teil in unserem Magazin in verschiedenen Rubriken präsentieren. In den Bildstrecken von »Wunder des Weltalls« zeigen wir die Leserbilder, die regelmäßig einen schönen Mehrwert bringen und für tolle Wow-Effekte sorgen.
Mit Blick auf die Inhalte sind Themen zur Grundlagenforschung, wie Kosmologie und Planetenforschung, bei unserer Leserschaft am beliebtesten. Wir haben beispielsweise derzeit das Glück von Sonden, die auf dem Planeten Mars unterwegs sind, fantastische Bilder und sogar Videos zu erhalten. Somit besteht die Möglichkeit zeigen zu können, wie es dort vor Ort aussieht. Zudem gehen wir der spannenden Frage nach, ob sich auf dem Roten Planeten einfache Lebensformen finden lassen. Mich persönlich fasziniert am Mars besonders, dass es dort komplett anders aussieht als auf der Erde. Es gibt beispielsweise Aufnahmen von Sonnenuntergängen, die zeigen, dass sich dort infolge des Marsstaubs die Sonnenauf- und -untergänge blau verfärben und nicht rot schimmern wie bei uns.
Unsere Leserschaft interessiert sich neben solchen inhaltlichen Themen auch für technische Aspekte. Aus diesem Grund geben wir regelmäßig Überblicke über neue Teleskope und Neuheiten in der Raumfahrt. Zudem veröffentlichen wir Beobachtungstipps, in denen wir erläutern, was am aktuellen Himmel zu sehen ist und welche besonderen Ereignisse es im jeweiligen Monat zu entdecken gibt. Von Anfang an war es unser Ziel, die Wissenschaft zu popularisieren und der breiteren Masse zugänglich zu machen.
In den vergangenen einhundert Jahren kann die Astronomie auf viele Highlights und Durchbrüche zurückblicken, die natürlich auch im Magazin »Sterne und Weltraum« beschrieben und diskutiert wurden. Dazu gehören die erste Landung eines Menschen auf dem Mond im Jahr 1969, die totale Sonnenfinsternis in Deutschland im Jahr 1999, das erste Bild eines Schwarzen Lochs und viele mehr. An welches Ereignis denken Sie persönlich besonders gern zurück und warum?
Mein Fachgebiet ist die Astrophysik von Schwarzen Löchern. Für mich war es immer schon spannend bis an die Grenzen des Erfahrbaren zu gehen, und Schwarze Löcher sind Paradebeispiele dafür, denn sie trennen das Beobachtbare vom Unbeobachtbaren. Zur Astronomie kam ich in jungen Jahren zunächst über die Beobachtung, aber die Theorie war schließlich das, was mich fasziniert hat. Besonders spannend war es für mich mit Einsteins Theorie zu berechnen, wie ein Schwarzes Loch aussieht. Während meiner Diplomarbeit hatte ich im Jahr 2000 ein Computerprogramm geschrieben, welches das simuliert. Im April 2019 war es schließlich soweit, und es wurde das erste Bild von einem Schwarzen Loch, ein hochaufgelöstes Radiobild der Galaxie Messier 87, veröffentlicht. Das hat mich natürlich begeistert, weil die Aufnahme genauso aussah wie das Bild, das ich selbst 20 Jahre vorher simuliert hatte. Besonders befriedigend war es zu sehen, dass die Natur sich genauso verhält, wie ich es vorher bereits berechnet hatte.
Interessanterweise war das auch genau die Zeit, in der ich als Chefredakteur mein erstes Heft von »Sterne und Weltraum« verantwortete. Für uns war es toll, dass wir die Thematik gleich als Titelthema aufgreifen konnten. Für die besagte Aufnahme brauchten Wissenschaftler*innen mehrere Radioteleskope, die gemeinsam auf das Ziel gerichtet waren, um dieses extrem hochaufgelöste Bild liefern zu können. Das war schon etwas ganz Besonderes!
Ein zweites Thema, das ich mit größtem Interesse verfolge, sind die Gravitationswellen. Sie sind Phänomene der allgemeinen Relativitätstheorie. Einstein hatte bereits vor über 100 Jahren abgeleitet, dass es diese Wellen geben muss, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und die das Raum-Zeit-Gefüge verzerren. Diese Vorhersage experimentell nachzuweisen, war lange Zeit unmöglich. Erst im Jahr 2015 gelang es, Gravitationswellen direkt zu messen, die von zwei Schwarzen Löchern stammten, als sie miteinander verschmolzen waren. Dieser Durchbruch für die Gravitationsphysik wurde im Jahr 2017 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Ich hatte das Glück, den Nobelpreisträger Rainer Weiss, ein Pionier der Gravitationswellenforschung, persönlich für mein Buch »10 Dinge, die Sie über Gravitationswellen wissen wollen« zu interviewen.
Die Jubiläumsausgabe der »Sterne und Weltraum« widmet sich dem Thema Gravitation, und die Titelgeschichte behandelt Einsteins allgemeine Relativitätstheorie. Aus welchen Gründen haben Sie sich für diese Thematik zum Jubiläum entschieden?
Einsteins Theorie beschreibt hervorragend Phänomen der Schwerkraft, aber es gibt noch Rätsel. Eine der wesentlichen Fragen der Grundlagenphysik ist, wie es im Inneren eines Schwarzen Lochs aussieht und ob es ihre Unendlichkeiten – die Singularitäten – wirklich gibt. Nach Karl Schwarzschild befindet sich im Zentrum des Lochs eine Punktmasse, etwas, mit dem sich Einstein kaum anfreunden konnte. Diese Eigenschaft stellt bis heute eine Kontroverse dar und brachte viele neue Theorien jenseits von Einsteins Jahrhundertwerk hervor. Die wichtigsten Alternativen skizzieren wir in unserem Jubiläumsheft SuW 4/2022. Weiterhin gehen wir darin der Frage nach, warum wir zur Beschreibung des expandierenden Universums die kosmologische Konstante benötigen, die Einstein schon 1917 eingeführt hatte.
Als Wissenschaftsautor zum Thema Astronomie und promovierter Astrophysiker sind Ihnen Planetarien und Sternwarten vermutlich sehr vertraut. Die Häuser der Stiftung Planetarium Berlin haben das Ziel moderne Brücken zum Kosmos zu bilden und mit dem Zeiss-Großplanetarium als modernstes Wissenschaftstheater Europas relevante und innovative Vermittlungsformen anzubieten. Welche Funktion schreiben Sie den Planetarien und Sternwarten zu?
In meiner Laufbahn konnte ich bereits rund 600 öffentliche Vorträge zu astronomischen Themen halten. Für diese Präsentationen habe ich neben Universitäten und Schulen häufig Planetarien und Sternwarten, darunter auch das Planetarium am Insulaner, besucht. Zudem habe ich auch privat zahlreiche Veranstaltungen in verschiedenen Planetarien, auch bei Ihnen im Zeiss-Großplanetarium, angeschaut und empfand es jedes Mal als sehr gewinnbringende und schöne Erfahrung.
Durch Effekte wie Licht und Musik lassen sich die Menschen hier auch auf der emotionalen Seite erreichen, was der nüchternen Wissenschaft nicht immer gelingt. In Planetarien und Sternwarten lässt sich der Himmel geradezu erfahrbar machen, was ein tolles Erlebnis ist! Vor allem heutzutage, wo das Licht in den Großstädten ein Störfaktor ist und Sternbilder kaum noch klar beobachtet werden können, hat man im Planetarium eine tolle Möglichkeit in den Himmel zu schauen, in Details zu zoomen und den Standort – beispielsweise auf die Südhalbkugel – zu wechseln. Dadurch können die Besucher*innen Sternbilder beobachten, die sie sonst niemals zu Gesicht bekommen würden. Planetarien sind also ein optimaler Ort, um aus verschiedenen Perspektiven zeigen zu können, in welcher Welt wir leben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, dass eingeladene Wissenschaftler*innen über Vorträge direkt selbst Einblicke in ihre Arbeit geben. So kann das Publikum in die aktuelle Forschung eintauchen, Fragen stellen und an einem einmaligen Erlebnis teilhaben. Das finde ich eine tolle Sache!
Über den YouTube Kanal »Urknall, Weltall und das Leben« erreichen Sie rund 255.000 Abonnent*innen. Wie ist es zu dem Erfolg des Kanals gekommen, und welche Aspekte sind Ihnen bei den Videobeiträgen besonders wichtig?
Das Medium YouTube spricht eine sehr junge Zielgruppe an, die auf diese Weise gut erreicht werden können. Auch Wissenschaftsthemen, wie sie auf unserem Kanal »Urknall, Weltall und das Leben« vermittelt werden, sind bei jungen Menschen sehr beliebt. Wir haben mittlerweile mehr als eine Viertel Million Follower*innen, worüber wir uns sehr freuen. Los ging es ursprünglich mit einem Buchprojekt, das Astrophysiker Harald Lesch sowie der Mathematiker und Physiker Josef M. Gaßner bei YouTube promoten wollten. Daraus entwickelte sich schließlich unser Kanal, der verschiedenste Themen und Sachverhalte aus der Astronomie und Physik aufgreift. Im Jahr 2017 stieg ich mit ein, und wir haben unter anderem unsere Vorträge über unseren Kanal gezeigt. Es ist schon eine tolle Sache, dass wir solch eine enorme Reichweite erzielen und so ein deutlich größeres Publikum erreichen, als jemals in einen Vortragssaal hineinpassen würde. Über den Kommentarbereich haben die Zuschauer*innen zusätzlich die Möglichkeit zu interagieren, Fragen zu stellen und sich mit einzubringen. Da hat sich eine richtige Community gebildet, was uns sehr glücklich macht und die uns inspiriert.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Relativitätstheorie, Schwarze Löcher, die Kosmologie und aktive Galaxienkerne. Welche astronomische Erkenntnis hat Sie in Ihrer Forschungslaufbahn besonders überrascht und inspiriert?
Bei Einsteins Theorie ist es das Wesen der Relativität sehr verblüffend. Es lässt sich besonders eindrucksvoll vor Augen führen, wenn ein Mensch in einem Gedankenexperiment in ein Schwarzes Loch stürzt. Was dann genau passiert, hängt vom Standpunkt, nämlich dem Bezugssystem ab: Bin ich derjenige, der in das Schwarze Loch hineinstürzt oder befinde ich mich außerhalb und schaue dem Einfall einer Person zu? Aus Sicht der einfallenden Person wird sie das Zentrum des Lochs in endlicher Zeit erreichen. Heftige Gezeitenkräfte würden an ihr zerren, und sie würde »spaghettisiert«, also in die Länge gezogen und schlussendlich zerrissen werden. Erstaunlich ist, dass ein Außenbeobachter gar nicht sehen würde, wie eine hineinfallende Person das Innere des Schwarzen Lochs erreicht. Vielmehr würde der Einfallende immer dunkler und röter erscheinen und schließlich in der Schwärze des Ereignishorizonts verschwinden. Ich finde es nach wie vor überraschend, dass diese Wirklichkeiten relativ sind.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft von »Sterne und Weltraum« und auch für die Zukunft der Astronomie?
Jede Ausgabe von »Sterne und Weltraum« erreicht aktuell etwa 50.000 Leser*innen, und wir hoffen natürlich, dass es noch mehr werden. Deshalb arbeiten wir stetig daran, alle Themen und Inhalte noch verständlicher und spannender zu präsentieren, um noch mehr und vor allem jüngere Menschen zu erreichen.
Ein besonderer Anspruch, den wir haben, ist es didaktische Module zu entwickeln und unsere Inhalte somit auch Schüler*innen näherzubringen. Für uns ist es wichtig, positive Vorbilder zu schaffen und insbesondere auch mehr weibliche Vertreter der Astronomie in den Vordergrund zu stellen. Das geschieht nicht nur im Heft, sondern ebenfalls auf dem YouTube-Kanal »Urknall, Weltall und das Leben«, um junge Nachwuchswissenschaftlerlinnen und Forscherinnen anzusprechen und sie für eine Karriere in den Naturwissenschaften zu interessieren.
Für die Astronomie selbst erhoffe ich mir vor allem von den Gravitationswellen viele neue Impulse, weil sie ein hohes Entdeckungspotenzial in sich bergen. Zum Beispiel wäre es besonders spannend eine Sternexplosion mittels Gravitationswellen zu »sehen« oder auch an den Anfang zurückzugehen und mit Gravitationswellen zu verstehen, was genau im Urknall geschah. Die absoluten Grenzen des Erkennbaren verschieben sich immer mehr, und genau das zu verfolgen und zu dokumentieren, ist für uns eine tolle Sache.