»Ich fand schon immer zu viele Dinge gleichzeitig spannend«

6 Fragen an Sibylle Anderl

Philosophie und Astrophysik  geht das zusammen? Sibylle Anderl, Wissenschaftsjournalistin der FAZ und Gastdozentin im Bereich der Sternentstehung und der Astrochemie am Institut de Planétologie et d'Astrophysique de Grenoble, studierte beides. Wir sprachen mit ihr über die Herausforderungen einer Astrophysikerin, den Reiz neuer Beobachtungstechnologien und ihr gerade erschienenes Buch »Das Universum und ich«, das die Frage aufwirft, ob das Universum nicht in Wahrheit ganz anders aussehen könnte.

Wie bist du zur Astronomie gekommen?

Ich bin tatsächlich erst sehr spät zur Astronomie gekommen, stattdessen stand für mich lange die Kunst im Mittelpunkt. In der Schule entdeckte ich dann schnell auch eine besondere Faszination für die Mathematik, die mich wiederum nach dem Abi motivierte, Physik zu studieren — als Doppelstudium zusammen mit dem Fach Philosophie. Dass mich unter den physikalischen Spezialdisziplinen die Astronomie besonders faszinieren würde, war zunächst vor allem eine starke Intuition, die dann aber schnell bestätigt wurde. Die Astronomie fördert, vielleicht mehr als andere Disziplinen, ein ungewöhnlich großes Interessenspektrum, da es leicht ist, von ihr Bezüge in die Philosophie, die Kunst, aber auch in alle anderen physikalischen Themengebiete auszumachen — im Universum ist schließlich jede Art von Physik relevant. Für mich als jemand, die schon immer zu viele Dinge gleichzeitig spannend fand, war das ein ideales Fach. Ich begann zunächst in der theoretischen Astrophysik mit einer Diplomarbeit in der Modellierung. Für die Doktorarbeit ging ich dann ans Argelander-Institut in Bonn, wo ich von meinem Doktorvater gleich in die chilenische Atacamawüste zum Beobachten geschickt wurde — eine eindrucksvolle Erfahrung mit sehr steiler Lernkurve. Als Postdoc in Grenoble arbeitete ich dann mit dem Plateau de Bure Interferometer, das mittlerweile Noema heißt, so dass ich mich jetzt fast eher als beobachtende Astrophysikerin denn als Modelliererin bezeichnen würde.

Du hast neben Astrophysik auch Philosophie studiert – zwei Bereiche, die zunächst schwer vereinbar scheinen: Wie bringst du beides zusammen?

Die Astrophysik und die Philosophie haben allein historisch natürlich viele Berührungspunkte. Der Versuch, Fragen über den Kosmos zu beantworten, spielte sich lange Zeit in der Philosophie (und Theologie) ab. Für mich persönlich war die Brücke zwischen beiden Fächern aber weniger historisch, als vielmehr die philosophischen Fragen, was Wissenschaft ist, wie sie funktioniert, auf welcher Grundlage wir erwarten können, gültige Aussagen über den Kosmos treffen zu können, welche Grenzen so eine Unternehmung vielleicht auch besitzt. Die moderne Wissenschaftstheorie liefert da viele spannende Impulse, insbesondere auch die philosophische Auseinandersetzung mit Modellen und Daten, den beiden Grundpfeilern astrophysikalischer Forschung: Was sind Modelle? Was ist ein gutes Modell? Warum funktionieren Modelle, selbst wenn sie stark vereinfacht sind? Was unterscheidet ein Modell von einer Theorie? Wie objektiv sind empirische Daten? Was heißt es, wenn wir Daten aufwändig verarbeiten? Das sind alles Fragen, die sich sehr nah an moderner Forschung bewegen und die man sich als Astrophysiker*in in der Reflexion der eigenen Arbeit auch stellt. Die Stärke der Philosophie ist dabei, dass sie ein sehr gut ausgearbeitetes Begriffsinstrumentarium liefert, um diese Fragen logisch befriedigend und präzise bearbeiten zu können. Nichtsdestotrotz ist es in der Praxis alles andere als einfach, beide Disziplinen zusammen zu bringen. In den letzten Jahren sind Philosoph*innen und Astrophysiker*innen stärker aufeinander zugegangen, aber trotzdem ist die Kommunikation zwischen den Fächern mit ihren unterschiedlichen Kulturen oft schwierig.

Was fasziniert dich besonders an deinen Forschungsbereichen der Sternentstehung und der Astrochemie?

Das Feld der Sternentstehung ist ein relativ junges, da sich die frühesten Phasen im Leben der Sterne tief im Inneren dichter staubiger Gaswolken abspielen, in die man nur mithilfe von Infrarot- und Radiostrahlung schauen kann. Die entsprechenden Beobachtungstechnologien haben in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte erzielt. Gleichzeitig heißt das, dass es in Bezug auf die Entstehung von Sternen noch viele offene Fragen und jede Menge Raum für Entdeckungen gibt. Insbesondere in der Milchstraße kann man diese Fragen mittlerweile mit extrem guten Beobachtungsdaten beantworten, vor allem das Alma-Interferometer hat da in den vergangenen Jahren unglaubliche Fortschritte gebracht. Das Zusammenspiel von Beobachtungen und relativ detaillierter Modellierung ist etwas, das ich an dem Thema sehr schätze: Die Beobachtungen sind gut genug, dass man mithilfe von Modellen wirklich viel über die Phänomene herausfinden kann. Gleichzeitig ist das Thema faszinierend, weil es einen direkten Bezug zu uns selbst hat: Wenn wir wissen, wie Sterne entstehen, liefert das auch einen Blick in unsere eigene Vergangenheit und gibt uns eine Vorstellung davon, wie typisch oder auch ungewöhnlich unser eigenes Sonnensystem ist — und weitergedacht auch, wie wahrscheinlich es ist, dass es irgendwo ganz ähnliche Systeme mit ähnlicher Chemie und ähnlichem Aufbau gibt.

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen du dich als Astrophysikerin konfrontiert siehst?

Mittlerweile verdiene ich mein Geld hauptberuflich als Wissenschaftsjournalistin und bin nur noch nebenbei als Gastwissenschaftlerin in Grenoble tätig. Insofern ist momentan meine größte Herausforderung als Astrophysikerin, mir nach wie vor genügend Zeit für eigene Forschung zu reservieren. Davon abgesehen ist jetzt meine größte Herausforderung die Kommunikation von Wissenschaft, und dabei die richtige Balance zwischen fachlicher Korrektheit und öffentlicher Zugänglichkeit. Diese Herausforderung ist wiederum ganz ähnlich wie die, die ich als Modelliererin zu lösen habe: Wie stark darf eine Vereinfachung sein, damit das Ursprungsphänomen trotzdem noch korrekt beschrieben/modelliert ist? Und wie groß muss die Vereinfachung sein, damit sie ihren wissenschaftlichen/kommunikativen Zweck erfüllt?

In deinem Buch »Das Universum und ich« setzt du dich mit der Frage auseinander, wie der Mensch Wissen erlangt und ob das Universum nicht eigentlich ganz anders aussehen könnte, als die Wissenschaft annimmt – was war deine Motivation hinter diesem Buch?

Während der Doktorarbeit hatte ich versucht, ein interdisziplinäres Projekt mit Philosoph*innen, Soziolog*innen, Historiker*innen und Astrophysiker*innen aufzubauen, in dem es um genau diese Frage gehen sollte: Wie wird in der Astrophysik Wissen generiert? Um einen entsprechenden Forschungsantrag zu schreiben, hatte ich mich dabei in der wissenschaftstheoretischen Literatur intensiv nach Fragen und Diskussionen umgesehen, die einen direkten Bezug zur Astrophysik haben. Leider ist dieser Antrag nie fertig geworden, unter anderem, weil solch eine interdisziplinäre Forschung für Nachwuchsforscher*innen eine riskante Karriereentscheidung ist, die ich damals nicht treffen wollte. Die Ergebnisse meiner Recherche habe ich schließlich in ein Kapitel meiner Doktorarbeit überführt. Da meine Doktorarbeit aber nicht sehr leserfreundlich war — meine Eltern beklagten sich insbesondere über die englische Sprache — reifte schließlich während meiner Postdoc-Zeit der Entschluss, das ganze nochmal »allgemeinverständlich« für Familie, Freunde und alle anderen Interessierten aufzuschreiben.

Als Wissenschaftsjournalistin, Astrophysikerin, Philosophin, Autorin und Künstlerin hast du viel zu tun – bleibt da noch genug Zeit, um ganz gemütlich in die Sterne zu schauen?  

Zeit ist natürlich immer zu wenig da. Viel zu wenig. Nicht nur für Himmelsbeobachtungen. Immerhin habe ich jetzt in Frankfurt eine Terrasse mit gutem Blick in den Himmel — so gut das in einer Großstadt möglich ist.

Ich danke Ihnen, Frau Anderl, für das Interview!

Laura Grotjohann | 15.05.2020
Im Vordergrund das Buch "Das Universum und ich", im Hintergrund die Autorin Sibylle Anderl.
In ihrem Buch »Das Universum und ich« setzt sich Sibylle Anderl mit der Frage auseinander, wie der Mensch Wissen erlangt und ob das Universum nicht eigentlich ganz anders aussehen könnte. © SPB / Foto: F. Heidenreich